OLAF IM GESPRÄCH MIT SPIEGEL ONLINE / UNISPIEGEL – JUNI 2011

Für Olaf Schubert war die Schule nur als Klassen-Olaf zu ertragen, genau wie die Lehre als Rechenknecht des Proletariats. Als Musikstudent fuhr er lieber Essen für Omis aus, als brav zu üben, und empfiehlt sich im Interview als ganz und gar schlechtes Vorbild - auch in Sachen Russischlernen.

Herr Schubert, Ihre Künstler-Vita klingt reichlich abenteuerlich. Dort steht, Sie haben Musik und Architektur in Berlin und Minsk studiert. Haben Sie auch abgeschlossen?

Ich bin ein schlechtes Vorbild für Studenten. Viel begonnen, noch mehr abgebrochen – also keinen Abschluss, der tatsächlich vorweisbar wäre.
Insofern bin ich … Amateur.

Ein Personaler würde über Ihren lückenhaften Angaben im Lebenslauf verzweifeln. Klären Sie uns auf: War Ihre Studienzeit vor oder nach der Wende? 

Das ist lange her, da muss ich überlegen. Da war, glaube ich, auch Musterung, das muss zwischen '87 und '90 gewesen sein. Also die Zeit, wo sowieso alles unruhig war. Bildung war zur Wendezeit nicht von Belang, das Leben spielte sich woanders ab als in so einem öden Hörsaal. Kneipen haben aufgemacht, man konnte reisen, man konnte praktisch alles.

Wie lange dauerten Ihre Ausflüge auf die Hörsaalbank? 

Drei, vier Jahre. Ich habe mal hier und da geschaut und nebenbei gejobbt: Essen ausgefahren für Omis, abends Dienst in Videotheken geschoben; alles Jobs, bei denen ich immerhin ausschlafen konnte. Wie man das eben so macht. Oder macht man das heute anders? Nichts machen war ja geächtet. Somit war das Studium ein Vortäuschen aktiver Tätigkeit.

Trotzdem haben Sie so etwas wie ein Auslandssemester absolviert. Wie kamen Sie zum Studium nach Minsk? 

Wie gesagt, die Zeit war chaotisch und Minsk nur eine Episode. Ein Kumpel studierte dort Architektur. Und ich war, sagen wir, temporärer Beisitzer. 

Sahen Sie überhaupt je einen weißrussischen Hörsaal von innen? 

Also drin war ich schon, in der Mensa und so. 

Haben Sie auch etwas verstanden?

Einiges schon, zum Beispiel: Ja panimaju woksal *…

Sie sprachen vorhin Ihre Musterung an. Wer in der DDR studieren wollte, kam um den Armeedienst nicht herum.

Nunja. Kognitiv Benachteiligte die sich für drei Jahre verpflichteten, bekamen unter Umständen eher einen Studienplatz als ein geistig Reger, der nur 1,5 Jahre zur Armee ging.

Sie auch? 

Ich wollte ursprünglich Bausoldat werden, quasi ein Art Wehrdienstverweigerung. Die wollten mich 1989 sogar noch einberufen, allerdings verlief sich das in diversen Karteikästen. Es kam noch ein Schreiben zum Zivildienst, aber ich habe mich nicht gemeldet. So ging das Thema an mir vorüber. 

Wie sieht es mit Ihrer Schulzeit aus: Waren Sie ein guter Schüler oder eher der Klassen-Clown? 

Klassen-Clown? Ich war der Klassen-Olaf! Die Schule habe ich mit „Gut” abgeschlossen, 10. Klasse, POS. Für die geburtenschwachen Nachzüglergenerationen – POS bedeutet Polytechnische Oberschule. 

Wie schafften Sie es mit einem Zehnte-Klasse-Abschluss an die Uni? 

Ich komme ja eher von der Musik, an einer Musikhochschule brauchte man kein Abi. Es gab nur die Aufnahmeprüfung, also auf dem Klavier vorspielen und auf dem Schlagzeug rumrödeln, meinem Hauptfach. So fing meine Uni-Karriere an. Dort war es aber nicht unbedingt so, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Bereuen Sie es, keinen Uni-Abschluss gemacht zu haben? 

Nö. Vielleicht mal, wenn ich Kinder habe. So von wegen, seht mal her. Aber ich brauche auch keinen. Braucht man heute noch Abschlüsse? Man muss doch eher flexibel sein und sich in ganz vielen Bereichen auskennen. Elektroschlosser mit Erfahrungen in Gynäkologie und Gärtnerei.

Haben Sie trotzdem einen Beruf erlernt? 

Wirtschaftskaufmann, noch vor der Wende. Quasi ein Rechenknecht des Proletariats. Das war der schlimmste Beruf in meinem Leben.

Warum?

Ich musste in einem Dresdner Hotel im Büro sitzen, ab und zu sollte ich einen Hefter durcharbeiten: Inventur, Rechnungsführung, Statistik oder sowas. Meist war ich mit so einem Hefter nach zehn Minuten fertig und wusste, jetzt musst du noch sechs Wochen so tun, als würdest du da reinschauen. Das war der Gipfel an Langeweile! 

Wie kamen Sie an die Lehrstelle? 

Ich hatte gesundheitliche Probleme und sollte nur Tätigkeiten im Sitzen ausüben, besser noch liegen. So kam die Idee mit dem Wirtschaftskaufmann – völlig absurd. Ich habe die Lehre aber irgendwie ordnungsgemäß beendet, dann noch einen Monat gearbeitet: Davon waren drei Wochen Urlaub und eine Woche krank. Dann begann das Studieren. 

Was Ihnen auch nicht gefiel, wie wir nun wissen.

Weil es wie in der Schule war. Einen Vorteil hatte das Studium aber, man konnte gehen und kommen, wie man Lust hatte. Aber ohne Druck wird das halt leider nichts bei mir.

Wer macht Ihnen Druck, ein Bühnenprogramm fertig zu stellen?

Das ist was anderes, denn das macht mir Spaß.

Hat Ihnen Ihr aufgepimpter Lebenslauf je etwas genützt?

Gott sei Dank nicht – so muss ich kein schlechtes Gewissen haben.

* „Ja panimaju woksal” heißt übrigens „Ich verstehe nur Bahnhof”, wörtlich übersetzt ins Russische – womit so kein Russe etwas anfangen kann …

Ein weiteres aufschlussreiches Interview gibt’s hier …